BMBF-Projekt "Die Lehrmittelsammlung der Kunstgewerbeschule Pforzheim zwischen Medienarchäologie und Innovationstransfer"
Die Lehrmittelsammlung an der Fakultät für Gestaltung der Hochschule Pforzheim steht sowohl für eine weltweit ausstrahlende Designausbildung als auch für internationale Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte. Obwohl stark in Vergessenheit geraten, ist sie einzigartig hinsichtlich der Vielfalt ihrer Lehrmedien, des Innovationsgrades ihrer medialen Didaktik und der Fokussierung auf die Edelmetallindustrie. Das Projekt trägt dieser Besonderheit mit zwei Schwerpunkten Rechnung:
Teilprojekt I widmet sich der Lehrmittelsammlung aus wissenssoziologischer, epistemologischer und medienarchäologischer Perspektive. Forschungsfragen sind die Epistemologie des Modellgebrauchs, das Zusammenspiel von Kunst und Handwerk in den Werkstätten sowie didaktische Innovationen und die Einrichtung eines eigenen Museums für die Lehrmittelsammlung.
Teilprojekt II untersucht die Sammlung in einer transfer- und innovationspraxeologischen Perspektive. Gefragt wird nach den historischen Berührungspunkten der Kunstgewerbeschule mit der globalen Schmuckindustrie. Darüber hinaus untersucht das Projekt die Provenienz repräsentativer Stücke, wie jener aus deutschen Kolonien transferierten und in die Lehrmittelsammlung inkorporierten „sensiblen Objekte“.
Einen Einblick in den aktuellen Stand der Forschung gibt es auf → Instagram.
Objekt des Monats
Die Rubrik stellt ab Dezember 2024 jeden Monat ein Objekt aus der Sammlung vor, wobei wir den Sammlungsbegriff über die historische Sammlung bis in die Gegenwart der Lehre hinaus erweitern. Ein Teil der der Objekte wird auch auf dem → Blog der Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland veröffentlicht. In der Rubrik „ForschungsGegenstand“ werden die in der BMBF-Förderlinie „Vernetzen – Erschließen – Forschen. Allianz für Hochschulsammlungen II“ geförderten Projekte vorgestellt.
Digitale Games und deren Interaktive Bilderwelten spielen in den Studiengängen der Pforzheimer Fakultät für Gestaltung eine immer größer werdende Rolle – sei es in Visueller Kommunikation, Mode oder Industrial Design. Die auf Einladung des Kommunalen Kinos Pforzheim vom Lehrstuhl für Kunst- und Designtheorie eingerichtete Veranstaltungsreihe „KoKi zockt“ stellt wegweisende Computerspiele und deren Entwickler:innenstudios vor. Ein an der Fakultät für Gestaltung im Aufbau befindliches Game Lab dient dem Studium solcher Spiele für die eigene gestalterische Arbeit. Bestandteil dieses Labs ist unter anderem die Ende 2020 gelaunchte Spielkonsole PlayStation 5.
Der Graureiher steht stellvertretend für die rund 850 taxidermischen Tierpräparate, die zur historischen Lehrmittelsammlung der Kunstgewerbeschule Pforzheim gehörten. Zugleich repräsentiert der Fischreiher die Kunstgattung der Tiermalerei. Einer ihrer bedeutenden Vertreter im vergangenen Jahrhundert war Erwin Aichele (1887–1974), der von 1940 bis 1952 an der als Kunstgewerbeschule gegründeten Institution das Zeichnen und Malen nach Naturvorbildern sowie lebenden Tieren und Pflanzen unterrichtete. Bis heute ist das Naturstudium ein wesentlicher Bestandteil der künstlerischen Grundlagenausbildung an der Hochschule Pforzheim.
Ernst Haeckels Publikation „Kunstformen der Natur“ (1899–1904) figuriert eine paradigmatische Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Kunst und Design. Die in hoher Präzision ausgeführten Darstellungen biologischer Mikrostrukturen – etwa von Strahlentierchen, Quallen oder Borstenwürmern – prägten die visuelle Kultur des Fin de Siècle und beeinflussten zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich das Kunstgewerbe.
In Absehung vom bis dato vorherrschenden Historismus rezipierten Jugendstil-Designer wie René Lalique oder Émile Gallé Haeckels Bildsprache und integrierten dessen organische Ornamente in Glas, Schmuck oder Möbel.
Bemerkenswert an Haeckels Bildtafeln ist, dass sie zwischen naturalistischer Wiedergabe und ornamentaler Stilisierung oszillieren. Demonstrieren sie dergestalt eine unmittelbare Aneignung der Natur durch die Kunst oder eine künstliche Konstruktion von Natürlichkeit? Auf diese Ambivalenz verweist bereits der Titel von Haeckels Werk: Lesen wir „Kunstformen der Natur“ als einen Genitivus subjectivus, dann ist es die Natur, welche Kunst hervorbringt, liest man den Titel hingegen als einen Genitivus objectivus, dann ist es die Kunst, welche Natur hervorbringt. Ästhetisch betrachtet, waren die „Kunstformen der Natur“ selbst von demjenigen Stil geprägt, dem sie ihrerseits als Inspirationsquelle gereichten.
„Objekt des Monats“ im Februar 2025 ist eine besondere Schülerarbeit aus der Lehrmittelsammlung: eine silberne Gürtelschließe mit geometrischer Formgebung des Jugendstils, die um 1905 an der Großherzoglichen Kunstgewerbeschule Pforzheim entworfen wurde. Die Kunstgewerbeschule kaufte das Schmuckstück für ihre Sammlung an und im Jahr 1906 wurde es auf der III. Deutschen Kunstgewerbeausstellung in Dresden präsentiert. Es war wohl eine mustergültige Schülerarbeit. Zudem lässt sich die Gürtelschließe durch das Markenzeichen „TF“ auf der Rückseite der renommierten Schmuckfirma Theodor Fahrner zuordnen. Wahrscheinlich sollte die Schließe in die Kollektion aufgenommen werden. Ein faszinierendes Beispiel für den Austausch zwischen Kunstgewerbeschule und Industrie.
Dieses Gipsmodell eines trabenden Pferdes hat uns lange Zeit Rätsel aufgegeben. Obwohl es sich offensichtlich um ein historisches Lehrmittel aus der Sammlung der Kunstgewerbeschule handelt, findet sich am Objekt keine Inventarnummer. Diese wäre der Schlüssel für Informationen aus dem Inventarbuch zu Entwurf und Herstellung gewesen. Mithilfe alter Verkaufskataloge konnte das Pferd nun jedoch identifiziert werden: Die Dresdner Firma „Gebrüder Weschke“ produzierte in den Jahren 1894 bis 1913 das Modell „Pferd (ziehend)“ von Cloed mit der Nummer IX 26.
Tiere gewannen gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung als Motive für das Kunstgewerbe. Die Treibarbeit „Fisch“ des Pforzheimer Kunstgewerbeschülers Friedrich Wüst entstand 1909 im Unterricht von Adolf Schmid. Als Vorlage wurde ein Blatt aus dem Mappenwerk „Das Thier in der decorativen Kunst“ von Anton Seder aus dem Jahr 1896 verwendet. Objekt und Vorlage haben sich in der Sammlung der Fakultät für Gestaltung und im Stadtarchiv Pforzheim erhalten.
Prof. Dr. Thomas Hensel
Hochschule Pforzheim, Fakultät für Gestaltung,
Lehrstuhl für Kunst- und Designtheorie (Projektleitung)
Tabea Schmid, M.A.
Hochschule Pforzheim, Fakultät für Gestaltung
(Teilprojekt II)
Katharina Wittemann, B.A.
Hochschule Pforzheim, Fakultät für Gestaltung
(Akademische Mitarbeit)
Projektpartner
Verbundpartner ist das Schmuckmuseum Pforzheim. Das Schmuckmuseum Pforzheim ist weltweit das einzige Museum in öffentlicher Hand, das sich ausschließlich dem Schmuck widmet. Seine Sammlungen umfassen tausende historischer und moderner Schmuckstücke – Originale aus fünf Jahrtausenden, von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Gegenwart. Schwerpunkte liegen auf Kleinodien der griechischen und etruskischen Antike, der Renaissance und des Barocks. Herausragend sind die Preziosen aus der Zeit des Art Nouveau und Jugendstils sowie die einzigartige Kollektion moderner Schmuckkunst ab 1960. Die ethnografische Sammlung Herion gibt Einblick in schmückende Ausdrucksformen außereuropäischer Gesellschaften, und Taschenuhren aus der Sammlung des Pforzheimer Uhrenfabrikanten Philipp Weber dokumentieren Uhrmacher- und Goldschmiedekunst vom 17. bis ins 19. Jahrhundert. Den historischen Grundstock des Museums bildet eine umfassende Ringsammlung, die ursprünglich Teil der Lehrmittelsammlung der Pforzheimer Kunstgewerbeschule war.
Neben dem Verbundpartner Schmuckmuseum Pforzheim stehen dem Projekt die folgenden externen Forschungs- und Praxispartner beratend und unterstützend zur Seite. Deren Vernetzung untereinander und mit den Verbundpartnern ist dezidiertes Ziel des Projektes:
Das Stadtarchiv Pforzheim, das die historische Bibliothek der Kunstgewerbeschule und des Kunstgewerbevereins sowie etwa 250 Kassetten mit den gesammelten und thematisch geclusterten Vorlageblättern verwahrt.
Das Generallandesarchiv Karlsruhe, das den um 1900 an der Kunstgewerbeschule Pforzheim aufgebauten Bestand von circa 2.000 Glasdiapositiven archiviert.
Das Technische Museum Pforzheim, das mit seinen Maschinen und Instrumenten ein Verständnis der historischen Techniken der Schmuckherstellung ermöglicht.
Die Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, die zusammen mit dem Studiengang „Schmuck“ der Hochschule Pforzheim das 2015 in das deutsche Register guter Praxisbeispiele im Rahmen des UNESCO-Abkommens zum Erhalt des immateriellen Kulturerbes aufgenommene Projekt „Pforzheim Revisited“ zur manufakturellen Schmuckgestaltung betreibt.
Das Landesmuseum Württemberg, das eine wegweisende Expertise in puncto Digitalisierung von Social Networking, von Kulturvermittlung und von Sammlungen besitzt (die derjenigen der Pforzheimer Lehrmittel nicht unverwandt sind).
Das Staatliche Museum für Naturkunde Karlsruhe, das mit Blick auf das einst an der Kunstgewerbeschule Pforzheim existierende Vivarium sowie die konservatorischen Notwendigkeiten zur Erhaltung der taxidermischen Präparate als Gesprächspartner dient.
Das Filmmuseum Düsseldorf, das eine für das Teilprojekt I medienarchäologisch signifikante Sammlung optischer Medien besitzt.
Das Haus des Dokumentarfilms, das mit der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg historische Lehrfilme über den Unterricht an der Kunstgewerbeschule Pforzheim vorhält.
Das Kommunale Kino Pforzheim, das mit Vorführungen unter anderem dieses Materials im Projektrahmen die Lehrmittelsammlung zu popularisieren helfen wird.
Der Design Campus des Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, an dem das Forschungsnetzwerk „Pioniere der Designausbildung. Neue Perspektiven auf die deutschen Kunstgewerbeschulen vor dem Bauhaus“ angesiedelt ist.
Der Bundesverband Schmuck, Uhren, Silberwaren und verwandte Industrien e. V., der Zugänge zu Unternehmensarchiven der Schmuckindustrie eröffnet.
Das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, das die Erforschung der einschlägigen Transfers zwischen Kunstgewerbeschule und Wirtschaft erlaubt.
Förderkennzeichen 01UQ2305, Vernetzen – Erschließen – Forschen. Allianz für Hochschulsammlungen II
Projektlaufzeit: 01.07.2023 bis 30.06.2027